MMM 2022/23: 6. Runde: Schicksalsspiel mit Happy End

Am Freitag, den 24.3.2023 stand unser bis dato wichtigstes Spiel der Saison 2022/23 auf dem Programm: wir mussten uns auswärts mit der SG Aschheim/Feldkirchen/Kirchheim 2 duellieren, die ebenso wie wir erst 4 Mannschaftspunkte und nahezu gleich viel Brettpunkte auf dem Konto hatte und somit als unmittelbarer Tabellennachbar auch ein direkter Konkurrent im Abstiegskampf war.  Das Spielergebnis würde also nicht nur richtungsweisend, sondern eventuell sogar entscheidend für den Ausgang der gesamten  Saison werden. Hot oder Schrott also, „Tod oder Gladiolen“ (Louis van Gaal). Für so eine schwierige Mission braucht es entsprechend  motivierte und 100% fitte Freiwillige, deshalb durften diesmal die angeschlagenen bzw. aktuell nicht in Bestform befindlichen Stammkräfte Horst und Günter zu Hause bleiben.  Den Vorzug erhielten Benno sowie die Brüder Max und Florian Nießl, letztere wollten nach ihrem vorausgegangen Debüt in der Mannschaft nun ihre ersten Brettpunkte holen wollten.  Außerdem stand uns an Brett 2 endlich wieder Philipp Biedenkopf zur Verfügung, der quasi auf der Durchreise vom Staatsexamen in Passau zum einige Tage später beginnenden Reykjavik-Open 2023 für uns in Aschheim einen Zwischenstopp einlegte.  Nebenbei  konnte er sich dadurch vor und nach seiner Partie mit zwei ebenfalls in Passau studierenden Spitzenspielern aus der Aschheims erster Mannschaft, die ebenso wie Stefans Kasims aus Kirchseeon und weitere Passauer Kollegen in Reykjavik antraten, schonmal  auf die Island-Reise und das kommende Großturnier vorbereiten. Aber auch die eigene Partie erwies sich durchaus als gutes Konditionstraining für Reykjavik, denn es wurde kein Spaziergang, vielmehr waren geduldige Arbeit und die Kraft und Ausdauer von Wikingern gefragt.  An den anderen  Brettern blieben die Stellungen ebenfalls zunächst weitgehend im Gleichgewicht. Benno und Franz standen etwas schlechter, während Herbert und Phillip ihre Gegner im Griff und leichte Vorteile hatten.  Andrei musste erneut mit Schwarz spielen und sich zunächst verteidigen, konnte sich dann aber wieder einmal mit taktischen Drohungen durch seine Dame am Königsflügel entlasten und Gegenspiel organisieren. Der Gegner war jedoch nicht zu einem Remis bereit und spielte weiterhin auf Sieg.

Bei Christian lief es ähnlich wie schon mehrmals in dieser Saison:  Damengambit, gute Stellung, aber dann wurde es im Mittelspiel zäh und viel Bedenkzeit ging drauf.  Max und Florian hatten sich beim Vereinstraining und zuhause intensiv vorbereitet und fanden nach der Lösung kleinerer Eröffnungsprobleme gut in ihren Partien.  Schließlich konnte sich Max sogar einen Mehrbauern erkämpfen und diesen bis ins Turmendspiel behaupten.  Inzwischen fielen nach und nach die ersten Entscheidungen: Franz geriet zunehmend unter Druck, verlor eine Figur und musste seine Partie aufgeben. Dafür gewann Herbert nach Abtausch aller Leichtfiguren mit einem gewaltigen Kraftzug: Te8 mit Doppelangriff auf schwarzen König und Turm, und falls der Gegner Herberts Turm schlägt, hängt die schwarze Dame.  Benno kämpfte mit Schwarz tapfer gegen das weiße Übergewicht am Damenflügel und versuchte durch kreatives Spiel  dagegen zu halten und Löcher zu stopfen, konnte die Stellung jedoch gegen seinen spielstarken Gegner letztlich nicht halten.  Den Rückstand konnte Philipp jedoch wieder ausgleichen –  er hatte mit Schwarz  dem Gegner durch Läufer-Springer-Abtausch auf c3 frühzeitig einen Doppelbauern auf der c-Linie verschafft, bei geschlossenem Zentrum war dadurch eine typisch Nimzo-Indische Bauernstruktur entstanden. Außerdem spielte ihm der Gegner durch schnellen Figuren- und Damenabtausch in die Karten, so dass Philipp in aller Ruhe Druck gegen die schwachen weißen Bauern am Damenflügel einerseits und auf der f-Linie andererseits aufbauen konnte.  Ein  taktischer Schlag mit dem Springer auf e4 brachte dann schließlich das Kartenhaus der überlasteten weißen Verteidigung zum Einsturz – lehrbuchmäßig gespielt bis zum Schluss, alles klar für Reykjavik.  Doch ob es auch zum Mannschaftserfolg reichte, war zu diesem Zeitpunkt völlig offen. Bei Andrei und Christian ging es weiterhin äußerst spannend zu, und Max hatte zwar weiterhin einen Bauern mehr, doch der Gegner hatte im Turmendspiel inzwischen den schnelleren und damit deutlich stärkeren Freibauern, und in solchen dynamischen Endspielen ist Tempo wichtiger als Material. Es gelang Max leider nicht mehr, den rasenden a-Bauern zu stoppen, einen Zug vor der Umwandlung gab er auf.  Doch nun zeigte  sich, wie gut es ist, einen jüngeren Bruder zu haben, der zur richtigen Zeit da ist und Trost spenden kann:  Florian Nießl überraschte seinen erfahrenen Gegner (der aufgrund der DWZ von über 1600 haushoher Favorit war) sowie auch uns mit einer schönen Angriffskombination, und das mit Schwarz!  Dieses war zweifellos der entscheidende Brettpunkt, denn im Falle einer Niederlage wäre der Mannschaftskampf möglicherweise zu unseren Ungunsten gekippt. So aber gingen wir nun 4:3 in Führung, weil Andrei durch ein schönes Turmopfer auf g4 die weiße Bauernstellung zerlegte und dann mit seiner Dame Material gewann und sogar Matt erzwang.  Den Schlusspunkt musste Christian setzen – nicht nur, weil der Mannschaftskapitän als letzter von Bord gehen sollte, sondern weil er halt wieder mal recht langsam spielte und seine Bedenkzeit voll ausschöpfte.  Dadurch hatte er immerhin zuerst Raumvorteil erzielt und dann einen Bauern gewonnen, so dass nun der Gegner seinerseits ziemlich viel Zeit für seine Verteidigung investieren musste. Da noch alle Schwerfiguren auf dem Brett waren, konnte hier in beiderseitiger Zeitnot weiterhin alles passieren, so dass es für Christian angezeigt war, Risiko zu vermeiden und auf Remis zu spielen, um den Mannschaftssieg zu sichern. Er verlor unter Zeitdruck dann zwar den Mehrbauern und ließ einen mit Rechenaufwand verbundenen  Gewinnzug aus, konnte jedoch immerhin Abtausch herbeiführen und schließlich in einem Turmendspiel nach viereinhalbstündiger Spieldauer das erwünschte Unentschieden herbeiführen. So gewannen wird dieses Schicksalsspiel knapp mit 4,5:3,5, und uns fielen zentnerweise Steine (nicht nur Schachspielsteine) vom Herzen. Es war sicher auch Glück dabei, das gehört immer dazu, doch nach mehreren unnötigen knappen Punktverlusten in dieser Saison war so ein hart erkämpfter Sieg für uns einfach mal fällig.  Dadurch kletterten wir unverhofft sogar bis auf den vierten Platz der Tabelle und verjagten das Abstiegsgespenst für den Rest der Saison 2022/23 zurück in die Kiste. Wieder einmal hat der Frühlingsanfang für uns die Wende in einer schwierigen Wintersaison gebracht.

Nebenbei: Das Spiellokal war übrigens der Q12-Unterrichtsraum des Gymnasiums Kirchheim, und dessen Wanddekoration u.a. mit Stichwörtern zum Werk von Thomas Mann half dem einen oder anderen von uns vielleicht in kritischen Situationen während des Spiels. Ich jedenfalls habe mich sehr bemüht, nicht an „Tod in Venedig“ zu denken, sondern wenn schon, dann an meinen Lieblingsroman „Der Zauberberg“. Die Spielanalyse beim folgenden Training  machten wir dann aber selbstverständlich mit Thomas Beckers statt mit Thomas Mann … .