In den Pfingstferien ruhte der Online-Trainingsbetrieb beim SC Kirchseeon, und ich besuchte mit der Familie die Heimat meiner Eltern in Ostercappeln bei Osnabrück. Dort war der VFL gerade mal wieder in die 3. Liga abgestiegen und trifft dort in der nächsten Saison auf die Münchner Löwen, die es auch wieder nicht in die 2. Liga geschafft haben. Womit ich aber nicht gerechnet hatte: In Ostercappeln wurde Schach gespielt – mit echten Figuren, in der Öffentlichkeit, von mindestens drei Generationen, Mädchen und Jungen, Müttern und Vätern, und dem lokalen „Godfather of Chess“ höchstpersönlich – Hans-Ludwig Schwedhelm, ehemaliger Schullehrer und Gründer der ersten Schach-AG dieses kleinen Ortes, aus der später eine starkes Jugendteam erwuchs, das in den 80er-Jahren bis in die Bezirksliga Osnabrück-Emsland aufstieg.

Freiluft-Schach mit Ludwig Schwedhelm in Ostercappeln, Landkreis Osnabrück, Niedersachsen, 26.05.2021
Auf einem Freiluft-Großschachfeld im Schatten des historischen Kirchturms von St. Lambertus dozierte und dirigierte mein früherer Mentor „Sensei“ Schwedhelm genauso souverän, charmant und schachbegeistert wie vor 40 Jahren. Nach eigenen Angaben ist er mittlerweile 83 Jahre alt, was aber kaum jemand glauben mag (beim Impftermin wollten sie ihn deshalb zuerst wieder nach Hause schicken, „Sie sind noch nicht dran, viel zu jung“). Auch ich habe mich da insgeheim gefragt, ob es nicht doch so etwas wie Zeitreisen gibt – wir erinnern uns: Doc Browns DeLorean-Zeitmaschine aus aus dem Film „Zurück in die Zukunft“ stammte ja auch aus den 80er-Jahren … nur ich bin tatsächlich älter geworden, und Stefan ist jetzt ungefährt so alt wie ich damals.
Sicher ist jedenfalls:
Während wir in Bayern noch auf die Aufhebung von Kontaktbeschränkungen und besseres Wetter warteten, waren uns die Niedersachsen zu dieser Zeit offensichtlich schon ein paar Schritte voraus, wie sich auf dem Bild erkennen lässt. Klar, die AHA-Regeln galten auch in Ostercappeln, aber keiner fragte nach FFP2-Masken im Outdoor-Bereich und Desinfektion von Schachfiguren. Die großen und kleinen Schachfiguren samt Biertischgarnitur werden in einer verschließbaren Kiste neben dem Schachfeld gelagert, ein paar Regentropfen machen Käpt’n Schwedhelm nichts aus – mit aufgespanntem Schirm ging es unbeirrt weiter im Programm: Mattsetzen mit Dame und König gegen König, Mattsetzen mit dem Turm, Bauernumwandlung, Opposition – da konnte Stefan zeigen, was er noch alles von Thomas Beckers Endspieltraining in Erinnerung hatte. Drei Stunden vergingen wie im Flug, und bald verzogen sich die Regenwolken und die Sonne schien bis in die späten Abendstunden, wir ließen die alten Zeiten aufleben, Corona war fast vergessen.
So einfach und schön kann Schachtraining sein! Vielleicht bald ja auch wieder bei uns hier im Süden?! Tja, manchmal muss man halt zurück zu seinen Wurzeln bzw. in die Vergangenheit zurückgehen, um neue Impulse für die Zukunft zu gewinnen.
Auf jeden Fall können wir uns in Bayern hier mal ein Beispiel an den Niedersachsen nehmen: Runter vom Sofa, raus in Freie, zurück ins echte Leben und ans große Schachbrett!
Christian Langer, 9.6.2021