Der SCK-Adventskalender – 22.12.2020: Das Damengambit – Endspiel (Teil 2)

Weiter geht es heute mit dem Mittelspiel der Damengambit-Partie „Harmon – Borgov“, bzw. Vassily Ivanchuk – Patrick Wolff, Biel 1993 – hier nochmal die bisherigen Züge von Anfang an:

1.d4 d5 2.c4 dxc4 3.e4 Sc6 4.Le3 Sf6 5.Sc3 e5 6.d5 Se7 7.Lxc4 Sg6 8.f3 Ld6 9.Dd2 Ld7 10.Sge2 a6 11.Lb3 b5 12.a4 O-O 13.O-O De7 14.Tac1 Sh5 (Diagramm)

Harmon – Borgov (Ivanchuk – Wolff), nach dem 14. Zug

Schwarz versteckt sich nicht, sondern greift als erstes am Königsflügel an: Der Springer will über h5 nach f4 ziehen, wo auch bereits sein Kollege von g6 sowie der Bauer e5 und mittels „Röntgenwirkung“ der dahinter postierte Läufer d6 zielen. Außerdem macht der Springerzug nach h5 den Weg frei für die schwarze Dame und später ggf. f7-f5. In diesem Fall gilt die Regel „Springer am Rand bringt Kummer und Schand“ natürlich nicht, weil das schwarze Pferd dort gar nicht lange verweilen möchte und zudem handfeste Drohungen im Gepäck hat. Ein typisches Manöver, welches wir kürzlich auch schon beim Training mit Thomas Beckers u.a. im Zusammenhang mit der holländischen Verteidigung (Leningrader System) beobachten konnten.
15.g3 Weiß reagiert sofort und deckt das Feld f4 mit dem g-Bauern 15. …h6 16.Lc2 Tab8 17.axb5 axb5 18.Ta1 Ta8 … und auch am Damenflügel finden Kämpfe statt, beide Parteien versuchen links oder rechts um das festgefahrene Bauernzentrum herum zu spielen und ins gegnerische Lager vorzustoßen. 19.Ld3 Lb4 20.Txa8 Txa8 21.Dc2 Lc5 …das schwarze Läuferpaar, Meister der Fesselung zwingt, stört erfolgreich die gegnerischen Angriffsbemühungen und verhindert zunächst weitere offensive Züge von Weiß … 22.Sd1 Ld6 23.Sf2 Shf4 ! (Diagramm)

Harmon – Borgov (Ivanchuk – Wolff), nach dem 23. Zug


Schwarz setzt das erste Ausrufezeichen in der Partie und bietet ein Springeropfer an, das zwar nicht unmittelbar tödlich vergiftet, jedoch ziemlich ungenießbar ist: Wenn Weiß den Springer mit dem g-Bauern schlägt, wird die g-Linie geöffnet, und die schwarze Dame droht über g5 nach g2, oder ggf. auch h2 zu gelangen und Matt zu setzen, Weiß müsste sich auf eine mühevolle Verteidigung einrichten, z.B. 24. gxf exf 25. Lc1 Sh4 26. Kh1 Sxf3 – das entspräche nicht dem Spielstil von Invanchuk und erst recht nicht dem von der immer auf Sieg spielenden Beth Harmon, daher folgt 24.Tc1 Dg5 25.Kh1 Dh5 26.Sg1 Weiß muss sich weiterhin sehr genau gegen den schwarzen Königsangriff verteidigen, jedoch bleibt die Stellung wegen der weiterhin geschlossenen g-Linie intakt. Hier darf der Sf4 auf keinem Fall vom Bauern geschlagen werden, weil dann Schwarz in 5 Zügen matt setzen würde: 26. gxf Dxf3+ 27. Kg1 Sh4 28. Kf1 Dg2+ 29. Ke1 Sf3 30. Kd1 Dg1 matt! Beachte: Hier kämpfen zwei schwarze gegen sechs benachbarte weiße Figuren und den weißen König, und trotzdem ist Weiß völlig machtlos … wenn es so gespielt worden wäre. Tatsächlich ging es aber weiter mit: Sxd3 27.Sxd3 f5 28.Sc5 Lc8 (Schwarz weicht dem Abtausch aus und behält sein starkes Läuferpaar) 29.Tf1 Se7 30.Dd3 fxe4 31.fxe4 Dg6 32.Kg2 Kh7 33.Sf3 Sg8 34.Sh4 Dg4 35.Sf5 Sf6 36.h3 ! Die einzige Möglichkeit für Weiß, um weiter auf Vorteil spielen zu können, hingegen würde sie/er nach Abtausch der Leichtfiguren hier schlechter stehen. Im Film „Damengambit“ beantragt Großmeister Borgov hier sichtlich angespannt die Hängepartie, d.h. Vertagung (was nach den damaligen Regeln noch möglich war, weil es keine wirksamen elektronischen Hilfsmittel gab, die den weiteren Verlauf ausrechnen konnten, sondern nur menschliche Analysefähigkeiten). Am nächsten Morgen setzt er dann mit 36… Dg6 fort (Diagramm). Langsam, aber sicher hat Weiß nun also die schwarzen Truppen zurückgedrängt und sich am Königsflügel Luft verschafft, doch es bleibt weiterhin ein harter Kampf mit offenem Ausgang.

Harmon – Borgov (Ivanchuk – Wolff), nach dem 36. Zug

Ivanchuk setzte hier 1993 (natürlich ohne Unterbrechung) mit 37.g4 Lxc5 38.Lxc5 fort, und die Partie endete später Remis. Im Film erfolgt nun aber genau an dieser Stelle die entscheidende, zweifellos von den Beratern Kasparow und anderen mit viel elektronischer Rechenpower gefundene Verbesserung, welche die Partie zu einem dramatischen Höhepunkt führt:

Weiß zieht 37. Se6 ! … und ab da wird es richtig kompliziert und verrückt !

… Fortsetzung folgt !