Das Schachspiel erhält momentan unverhofft viel Aufmerksamkeit in den Medien – allerdings nicht etwa durch Berichterstattung über reale Turniere, sondern durch ein fiktives Filmdrama: Die siebenteilige Miniserie „Das Damengambit“ war im November 2020 der absolute Renner auf Netflix.
Wer es noch nicht gesehen hat, hat zumindest schon davon gehört oder gelesen. Die Serie wird von Schachfans und nicht Schach spielenden Kritikern gleichermaßen gefeiert, siehe z.B. die Rezension auf Chessbase. Obwohl sie vorgeblich in den USA, Mexico, Paris, Moskau spielt, wurde ein grosser Teil der Szenen in und um Berlin gedreht.
Allein schon weil das Damengambit seit Jahren meine Lieblingseröffnung ist, musste ich den Film natürlich anschauen – eine höchst willkommene Abwechselung während des Lockdowns – und ich war sofort gefesselt und restlos begeistert.
Zur Handlung (bitte hier entweder weiterlesen, oder die Serie erstmal selbst anschauen!):
Elisabeth („Beth“) Harmon, ein durch den (wohl absichtlich herbeigeführten) Unfalltod der Mutter traumatisiertes, aber hoch begabtes neunjähriges Mädchen, entdeckt im Waisenhaus ihre Leidenschaft für das Schachspiel und wird in den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts innerhalb von 10 Jahren zur Schachmeisterin, die alle ihre männlichen Gegner besiegt und schließlich das stärkste Turnier der Welt gewinnt.
Allein schon die Idee ist genial, denn bekanntlich gab es eine derart starke Spielerin zu dieser Zeit ja nicht – die erste Frau, die es bis in die Weltspitze schaffte, war in den 90er-Jahren Judith Polgar, die zwar einen ähnlichen Spielstil, jedoch eine ganz andere Lebensgeschichte als Beth Harmon hat.
Zunächst scheint die Geschichte vor allem als Psycho-Drama angelegt zu sein: Beth Harmon gewinnt im und durch das Schachspiel die Kontrolle über sich selbst und ihr Leben, wird dabei aber geplagt von den Dämonen ihrer Kindheit und zunehmend abhängig von Medikamenten und Alkohol. Man weiß lange Zeit nicht, ob die Sache gut ausgeht, oder ob sie sich mit einer Überdosis selbst ins Jenseits befördert. Ein wenig erinnert das an die 1942 erschienene Erzählung „Schachnovelle“ von Stefan Zweig, wo sich der österreichische Anwalt Dr. B. in Gestapo-Isolationshaft mit Schach geistig am Leben erhält, dann schließlich in Gedanken permanent gegen sich selbst auf Großmeisterniveau spielt und dadurch eine lebensbedrohliche „Schachvergiftung“ erleidet.
Im „Damengambit“ läuft die Handlung auf das Duell mit dem schier unbezwingbaren, mit der Präzision eines Roboters spielenden Russen Borgov hinaus und scheint dadurch zum Abbild des kalten Krieges zwischen den USA und der Sowjetunion zu werden, dem „Match des Jahrhunderts“ zwischen Bobby Fischer und Boris Spassky 1972 nachempfunden.
Doch anders als in anderen Filmen oder Romanen, wo das Schachspiel letztlich nur die Kulisse für die Darstellung von Konflikten der menschlichen Psyche oder der Weltgeschichte darstellt, geht es hier bis zum Schluss tatsächlich in der Hauptsache um Schach, ja mehr noch: Die Logik und die Erfordernisse des Schachspiels selbst bestimmen die Handlungen der dargestellten Personen, die sich hier wie die Figuren auf dem Schachbrett entwickeln, befreien und am Schluss trotz aller Komplikationen miteinander harmonieren: So überwinden z.B. die US-amerikanischen Schachspieler („Wir sind alle Primadonnen“) ihre persönlichen Eitelkeiten und Enttäuschungen und unterstützen ihre Kollegin überraschender Weise mit vereinten Kräften durch nächtliche Analyse der Hängepartie gegen Borgov – der wiederum gratuliert ihr nach seiner Niederlage mit einer herzlichen Umarmung (ist also doch kein Roboter), während das Publikum in Moskau auf der Straße begeistert der Schach-Ikone Beth Harmon zujubelt.
Die klare Botschaft, die auch in der Schlusszene zum Ausdruck kommt: Schach macht das Leben schöner, bringt die Menschen auf Augenhöhe zusammen, befördert Freundschaft und Respekt, und am Schluss siegt die Menschlichkeit. Bessere Werbung für unseren Sport ist kaum denkbar, und nicht zuletzt befreit der Film das Schachspiel auch von alten Klischees, welche die real existierende männliche Schach-Community selbst teilweise bis heute transportiert.
Kein Wunder, dass in den letzten Wochen die Online-Bestellungen für Schachbretter und -literatur beträchtlich zugenommen haben, Schach ist gerade wirklich cool.
Klar, das „Damengambit“ ist nur Fiktion – aber mit Auswirkungen auf das wirkliche Leben, die wir gerade erst anfangen zu begreifen. Es ist auf jeden Fall eine Chance für den Schachsport, ein Wegweiser. Oder um es mit den Worten aus einer anderen derzeit sehr erfolgreichen Fernsehserie („The Mandalorian“) zu sagen: Das ist der Weg!